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Ich möchte Ihnen die Ergebnisse unserer
jugendpsychologischen Studien vorstellen. Als Grundlage dieses
Referats wären zwei Studien zu nennen: Zum einen führen wir im
Abstand von zwei, drei Jahren in Brandenburg landesrepräsentative
Studien zur Jugendgewalt, zum Rechstradikalismus, aber auch zur
Lebenssituation von Jugendlichen durch. Dabei muß ich zur Zeit auf
zwei Jahre alte Daten zurückgreifen. Andererseits stütze ich mich
auf die Ergebnisse einer vergleichenden Studie über Antisemitismus
in Nordrhein-Westfalen und in Brandenburg, die in Kürze publiziert
wird. Die Ergebnisse sind aber zumindest in wissenschaftlichen
Kreisen bereits bekannt. Das Ziel bestand u.a. darin,
Unterrichtsbausteine für die politische Bildung zu erstellen. |
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Sie müssen davon ausgehen, daß es den Brandenburger, den ich Ihnen hier
präsentiere, in persona nicht geben muß.
Ich rede vom statistischen Brandenburger, deshalb wirkt vielleicht
manches überzeichnet, aber ich denke als Gedankenspiel muß das auch
erlaubt sein. Ich werde nacheinander verschiedene Fragen aufwerfen.
Erstens: Ist es in Brandenburg wirklich schlimmer als in anderen
Bundesländern Deutschlands? Zweitens: Worin unterscheiden sich
Persönlichkeitsstrukturen, Entwicklungs- und Schulkontexte in
Brandenburg und Nordrhein-Westfalen? Drittens beschäftige ich mich
mit den Ursachen von Rechtsradikalismus. Viertens gehe ich auf
Entwicklungstendenzen und Trends ein. Ich bin durchaus dankbar, für
den kritischen Einwurf bezüglich der Frage der Definition des
Rechtsradikalismus. Wenn ich davon rede, verstehe ich darunter
Nationalismus, Führerprinzip und Rassismus im engeren Sinne. Wenn
ich von Antisemitismus spreche, meine ich damit zum einen die
uralten Stereotype gegenüber Juden und zum anderen die Abwehr von
Verantwortung. |
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Nun die erste Frage: Ist es in Brandenburg
schlimmer als z.B. in Nordrhein-Westfalen? Lassen Sie mich dazu
sagen, daß der Nordrhein-Westfale für mich nicht das Endziel der
menschlichen Entwicklung darstellt, genausowenig wie der
Brandenburger das Schmuddelkind Deutschlands ist. Ich tue mit meinen
folgenden Bemerkungen sicherlich vielen brandenburgischen
Jugendlichen weh, genauso wie ich manche Nordrhein-Westfalen
überhöhe. Ist es also in Brandenburg oder in Ostdeutschland generell
schlimmer als anderswo? Wenn wir als erstes den Aspekt der
Jugendgewalt, der für mich grundlegend ist, betrachten, müssen wir
feststellen, daß unter den Vierzehn- bis Achtzehnjährigen das Delikt
gefährliche und schwere Körperverletzung wesentlich häufiger
vorkommt. 1997 hatten wir in Ostdeutschland eine um 43% höhere Rate
in diesem Deliktbereich. Der brandenburgische Jugendliche ist also
mit ziemlicher Sicherheit gewaltbereiter als der
nordrhein-westfälische. Es kommt hinzu, daß es sich bei den
Opferzahlen genau umgekehrt verhält. Obwohl es in Brandenburg mehr
Täter gibt, gibt es weniger Opfer. Und das heißt, daß die
Jugendgewalt, die dort ausgeübt wird, eine feige Gewalt ist, bei der
viele Täter auf einige wenige Opfer einschlagen. |
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Zweitens: Rechtsradikalismus - hier ein
Vergleich zwischen Nordrhein-Westfalen und Brandenburg bei den
Zwölf- bis Achtzehnjährigen im Jahre 1996. Wenn wir den
Rechtsradikalismus in vier Kategorien einteilen - in der ersten die
strikten Befürworter harter rechtsradikaler Statements, in der
zweiten diejenigen, die das immer noch tendenziell befürworten, in
der dritten diejenigen, die tendenziell ablehnen, und in der vierten
Kategorie diejenigen, die strikt ablehnen -, dann hätten wir in der
Kategorie der Hardliner in Brandenburg 7% Jugendliche
landesrepräsentativ und in Nordrhein-Westfalen nur 3%. Zählen wir
die tendenzielle Kategorie hinzu, dann hätten wir in
Nordrhein-Westfalen 12% und in Brandenburg 25%. Wenn Sie die
schlichte Verallgemeinerung gestatten, war zumindest 1996 der
Rechtsradikalismus in Brandenburg dreimal soweit verbreitet wie in
Nordrhein-Westfalen. Das Gleiche können wir für den Antisemitismus,
im Sinne von Verantwortungsabwehr, wie auch im Sinne von Akzeptanz
antisemitischer Stereotype feststellen. Es ist eine Bilanz, die
zunächst wenig hoffnungsfroh stimmt: zumindest zum untersuchten
Zeitraum war es in Brandenburg schlimmer als anderswo, in diesem
Fall schlimmer als in Nordrhein-Westfalen. |
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Das wirft die Frage nach den unterschiedlichen
Entwicklungsbedingungen in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg auf.
Lassen Sie mich das in drei Abschnitten betrachten. Zunächst
Persönlichkeitsstrukturen als Voraussetzung von politischem
Extremismus, zweitens Familie, drittens Schule. Wenn wir die
Wertestrukturen von Jugendlichen in Brandenburg und
Nordrhein-Westfalen vergleichen, dann ergeben sich drei
Unterschiede. Ich habe sie ziemlich stark pauschalisiert und
zusammengefaßt. Den ersten Unterschied bezeichne ich als ein Defizit
an Selbstsicherheit. Jugendliche in Brandenburg haben weniger
Selbstvertrauen, weniger Zukunftsoptimismus und sie fühlen sich
häufiger fremdbestimmt. Sie glauben also - Psychologen nennen das
externale Kontrollüberzeugung -, weniger als nordrhein-westfälische
Jugendliche ihres eigenen Glückes Schmied zu sein. Daneben gibt es
Unsicherheitsreaktionen, die man als Abwehr von Fremden - das hat
noch nichts mit politischen Einstellungen zu tun - und als Abwehr
von Risiko bezeichnen könnte. Brandenburgische Jugendliche fühlen
sich unsicherer und sind eher der Meinung, daß sie alle Dinge so wie
bisher tun möchten. Das ist das Unsicherheitssyndrom. Zweiter
Unterschied: Es gibt eindeutig einen Mangel an sozialer Solidarität
in Brandenburg. Das äußert sich nicht nur durch einen höheren Grad
an Schadenfreude, wenn andere Opfer struktureller Gewalt werden. Das
äußert sich auch in der höheren Ablehnung von Statements, wie: Man
muß für andere dasein, auch wenn das Verzicht bedeutet. Dieses
Syndrom läßt sich mit dem Stichwort "weniger solidarische
Orientierung in Brandenburg" beschreiben. Den dritten Unterschied
könnte man mit dem Begriff des widersprüchlichen Lebensentwurfs
benennen: Dem brandenburgischen Jugendlichen ist Anerkennung, auch
materielle Anerkennung, mehr wert als dem nordrhein-westfälischen.
Er setzt aber nicht ein entsprechend höheres Quantum an Anstrengung
ein, um diese Anerkennung auch tatsächlich zu erzielen. |
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Die Persönlichkeitsstrukturen, die ich hier als
typisch für viele Brandenburger bezeichne, haben zum Teil etwas mit
den Verhaltensmustern aus DDR-Zeiten zu tun. Man konnte den Fremden
nicht als Chance oder zumindest als Abwechslung kennenlernen, weil
die DDR eine isolierte, eine autoritäre Gesellschaft war, die
Aushandlungsprozesse nicht unbedingt förderte. Sie war aber zugleich
eine fürsorgliche und lenkende Gesellschaft, die weniger
Eigeninitiative verlangte. Diese Verhaltensmuster wirken fort. Um
das zu erklären spreche ich von der sogenannten sozialen Vererbung -
ein umstrittenes Stichwort. Das hat nichts mit Genen zu tun, sondern
damit, daß man - wie mein polnischer Vorredner sagte -
Verhaltensstereotype nicht von einem Tag auf den anderen ändern
kann. Sie werden tradiert, in Familien weitergegeben. Wir bekommen
mit dem Ausknipsen einer Gesellschaftsordnung nicht automatisch ein
neues Menschenbild und neue Menschen. Insofern wird nur langsam
verändert, was zu DDR-Zeiten funktional war und heute der
Persönlichkeitsentwicklung entgegen steht. Ich komme noch dazu,
inwieweit diese Persönlichkeitsstrukturen Rechtsradikalismus und
Antisemitismus fördern. |
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Zur zweiten Frage, dem familiären Zusammenhang.
Veränderungen in der Familie, beispielsweise bei der Berufstätigkeit
der Eltern, waren in Brandenburg, gemessen am bundesdeutschen Ideal,
enorm. Ich möchte dazu nur sagen, daß 85% der zwölf- bis
neunzehnjährigen in ihren Familien erleben mußten, daß die Eltern
sich eine neue berufliche Tätigkeit, eine neue Stelle oder beides
suchen mußten. Diese Prozesse sind noch längst nicht abgeschlossen.
In einer repräsentativen Untersuchung in zwei Landkreisen Ende 1997
war festzustellen, daß knapp 40% aller Jugendlichen zwischen zwölf
und einundzwanzig Jahren zumindest ein Elternteil haben, das
beruflich eine unsichere Perspektive hat, das heißt also, arbeitslos
oder nur aufgrund einer Arbeitsbeschäftigungsmaßnahme zeitweilig
beschäftigt ist. Darüber hinaus können in vielen Familien die Väter
nicht für Erziehungsaufgaben in Anspruch genommen werden, weil sie
außerhalb des Kreises oder des Landes arbeiten, jedenfalls in der
Woche nicht erreichbar sind. In Brandenburg haben 85% der
Jugendlichen berufliche Veränderungen erlebt und in
Nordrhein-Westfalen nur 33%. In Brandenburg haben 72% der
Jugendlichen belastende Krisen finanzieller Art erlebt, in
Nordrhein-Westfalen dagegen nur 50%. |
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Ich bin kein Soziologe und gebe auf solche
Zahlen nicht viel, wenn sie sich nicht in psychologischen Kategorien
messen lassen. Wenn Sie Jugendliche hier und dort fragen, ob ihre
Eltern da sind, wenn man sie braucht, und ob sie Unterstützung bei
der Bewältigung von Konflikten und Problemen leisten, werden Sie
feststellen, daß brandenburgische Jugendliche sich eher von ihren
Eltern vernachlässigt fühlen als nordrhein-westfälische. Dieses
Defizit an elterlicher Verfügbarkeit und Orientierung läßt sich bei
jüngeren Kindern nicht feststellen. Eine Spezialität unseres Hauses
ist es, Vier- bis Achtjährige danach zu fragen, wie fürsorglich sie
ihre Eltern finden. Auch das haben wir in Nordrhein-Westfalen und
Brandenburg gemacht. Hier kommen brandenburgische Eltern sogar
besser weg. Sie werden fragen, warum es bei Jugendlichen anders
aussieht. Dabei handelt es sich um ein bekanntes Phänomen aus der
Streßforschung. Bei familiärem Streß erklären Eltern ihre
halbwüchsigen Kinder schneller für erwachsen. Z.B. müssen
Jugendliche in Trennungssituationen früher lernen, für sich selber
zu sorgen. Und dieses Phänomen tritt unter dem Eindruck des
ökonomischen Wandels in Brandenburg offensichtlich häufiger auf. Das
Minus an elterlicher Orientierung und elterlicher Fürsorglichkeit
resultiert daraus, daß die Eltern eigene Probleme haben, eigene
Veränderungen beruflicher Natur oder auch in der Partnerschaft, die
sie bewältigen müssen. |
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Zur Situation in der Schule. Wir finden ein
Phänomen in Brandenburg, das im Rahmen amerikanischer Studien über
die Folgen ökonomischer Depression für Jugendliche sehr gut bekannt
ist, nämlich ein Rückgang der Schulmotivation. C.A. Flanagan und
V.C. McLoyd haben Mitte der 80er Jahre in ihren interessanten
Studien im Mittelwesten der USA festgestellt, daß es dort eine
Gruppe von Eltern mit beruflichen Veränderungen gab. Denen ging es
nicht schlecht, aber sie mußten sich kurzfristig einen neuen Job
suchen. Diese Gruppe von Eltern war die größte Risikogruppe, denn
sie stellte hohe Forderungen an ihre Kinder und war am wenigsten
bereit, sie zu unterstützen. Die Kinder dieser Eltern hatten eine
extrem geringe Schulmotivation. Am Beispiel ihrer Eltern hatten sie
erfahren, daß berufliche und schulische Bildung keine Sicherheit
bieten und deshalb suchten sie selbst keine solide Ausbildung. Sie
sagten sich, wenn unsere Eltern ihre Ausbildung nicht davor
bewahrte, ihren Beruf zu verlieren, was nutzt uns dann eine
Ausbildung, wichtiger ist es, an Geld zu kommen. Diese Reduktion der
Schulmotivation (in Brandenburg 1993 bis 1996 von 32% auf 18%) wird
flankiert durch ein schwindendes Interesse auch der Eltern an der
schulischen Ausbildung ihrer Kinder. Es gibt eine zunehmende Anzahl
von Eltern, die sich im Falle schulischer Verweigerung ihrer Kinder
nicht mehr darum kümmern, warum diese z.B. die Schule schwänzen. Sie
intervenieren nicht oder verbringen sogar die frei gewordene Zeit
mit ihren Kindern gemeinsam. |
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Ich habe Ihnen als Ursachen für hohen
Rechtsextremismus oder Rechtsradikalismus ökonomische Deprivation,
psychopathologische Persönlichkeitsstrukturen und geringe
Schulmotivation erläutert. Nun wollen wir fragen, was diese
Erklärungen wert sind. Wenn wir die einzelnen Bereiche durchgehen
und zunächst einmal die Persönlichkeitsvariablen danach befragen,
inwieweit sie mit Rechtsradikalismus korrespondieren, stellen wir
fest, daß es einen typischen Zusammenhang gibt. Hohe externale
Kontrollüberzeugungen, verbunden mit einem hohen Grad an
Selbstvertrauen, oder besser gesagt an Selbstüberschätzung,
korrespondieren hoch mit Rechtsradikalismus. Nicht die
Zukunftsunsicheren, diejenigen, die wenig Selbstvertrauen haben,
sind rechtsradikal, sondern diejenigen, die ein hohes
Selbstbewußtsein mit dem Gefühl verbinden, selbst für sich nichts
erreichen zu können, nicht ihres eigenen Glückes Schmied zu sein.
Sie finden zugleich eine gewisse Korrespondenz zwischen
Rechtsradikalismus und hedonistischer Wertorientierung - es sind die
wenig leistungsmotivierten Genießer, die sich zur rechtsradikalen
Szene hingezogen fühlen. Das Klischee, daß diejenigen mit geringem
Berufs- und Zukunftsoptimismus zur Rechtsradikalität neigen, läßt
sich aus unseren Arbeiten nicht bestätigen. Bei den politischen
Einstellungen gibt es eine hohe Korrespondenz zwischen fehlendem
politischem Engagement und Rechtsradikalismus. Unsere statistischen
Rechtsradikalen sind also der Meinung, daß sie sich politisch nicht
engagieren wollen, daß sie nicht politisch interessiert sind und
sich politisch nicht kompetent fühlen. Das macht sie zu einer
schwierigen Klientel für politische Aufklärung und politische
Bildung. |
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Zum Elternhaus. Wir können nicht feststellen,
daß eine desolate ökonomische Situation im Elternhaus eine höhere
Anfälligkeit für Rechtsradikalität bewirkt. Wenn überhaupt, dann
gibt es eher einzelne Indizien dafür, daß der statistische
Rechtsradikale aus Familien kommt, denen es finanziell besser geht
als ihrem Umfeld. Es gibt also keine Zusammenhänge zwischen der
finanziellen Situation in der Familie und Rechtsradikalität. Wir
haben, wenn überhaupt, einen gewissen moderaten Zusammenhang zur
Vernachlässigung im Elternhaus. Es ist durchaus nicht nur für
"Underdogs" typisch, sondern auch für die Kinder der "Karrieristen",
daß ihre Eltern nicht verfügbar sind und daß sie vernachlässigt
werden. So ließe sich das eventuell interpretieren. Das klassische
Erklärungsmuster, daß die von ökonomischem Streß bedrohten
"Underdogs" rechtsradikale Kinder produzieren, läßt sich auf Grund
unserer statistischen Daten nicht halten. |
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Unser typischer Rechtsradikaler hat also eine
extrem geringe Schulmotivation und ist zugleich davon überzeugt, daß
schulische Bildung ihm bei der Bewältigung seiner Lebensprobleme
nicht helfen kann - da gibt es in Nordrhein-Westfalen und
Brandenburg keinerlei Unterschied. Eine wichtige moderate Variable
ist hier auch das schulische Gewaltniveau. Unser typischer
Rechtsradikaler kommt aus Schulen, wo eine gewisse Ignoranz
gegenüber dem Zeigen von rechtsradikalen Symbolen herrscht und
Gewalt an der Tagesordnung ist. |
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Der Rechtsradikalismus wird also flankiert vom
Syndrom der externalen Kontrollüberzeugung und übersteigertem
Selbstbewußtsein. Langfristig, das heißt über mehrere Meßzeitpunkte
hinweg, prädiziert lediglich Gewaltbereitschaft Rechtsradikalismus.
Die Gewaltbereitschaft ist zuerst da und wird häufig im Nachhinein
politisch verbrämt, veredelt, legitimiert durch rechtsradikale oder
auch linksradikale Orientierungen. |
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Lassen Sie mich noch etwas zu den Tendenzen
sagen. Sie wissen, meine Daten sind zwei Jahre alt, insofern bin ich
nicht geneigt, sie überzuinterpretieren. Wenn wir jedoch den
Zeitraum von 1993 bis 1997 für die Interpretation der Tendenz
heranziehen, können wir folgendes beobachten. Es gab in Brandenburg
unter Jugendgruppen einen moderaten Anstieg der Gewaltbereitschaft
im Zeitraum 1993 bis 1996. Von 1996 zu 1997 zeigte sich eher ein
Abflauen auf das Ausgangsniveau von 1993. Ob sich das fortsetzt,
werden wir in Kürze erfahren. In den ersten beiden Kategorien der
Rechtsradikalen (also der tendenziellen Rechtsradikalen und der
Hardliner) gab es in diesem Zeitraum einen Rückgang von etwa 6%. 21%
rechtsradikalanfälliger Jugendlicher, darunter 6% Hardliner, sind
immer noch zu viel. Aber ich freue mich trotzdem, daß es diese
Tendenz gibt, eine Tendenz, die vor allem auf die 7. bis 10. Klassen
der Gesamtschulen zurückgeht. In den Gymnasien lagen die Zahlen
schon immer niedriger. |
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Zur Ausländerfeindlichkeit. Wir haben ein sehr
starkes Abflauen von Ausländerfeindlichkeit festgestellt. Ich weiß,
daß diejenigen, die im polizeilichen Bereich arbeiten, mir hier
widersprechen werden, denn an den tatsächlichen Delikten ist das
nicht nachzuvollziehen. Das Abflauen, von dem ich spreche, bezieht
sich ebenfalls auf die 7. bis 10. Klassen der Gesamtschulen. Dieser
Trend wird konterkariert durch die Auszubildenden und durch
Ressentiments gegen Ausländer auf dem Arbeitsmarkt. |
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Um zunächst noch einmal die positive Tendenz zu
beleuchten. Die Zustimmung zu dem Statement "Wir wollen jeden
Ausländer in Brandenburg willkommen heißen" stieg von gut 40 auf
knapp 60%. Vor dem Hintergrund solcher Zahlen kann man nicht mehr
das pauschalisierende Bild einer ausländerfeindlichen
brandenburgischen Jugend entwerfen. Ich will nichts verharmlosen und
sage das in voller Verantwortung. Man muß auch den Anstrengungen der
politischen Bildung, der Schulen, und der Gesellschaft insgesamt
Gerechtigkeit widerfahren lassen, denn sie zeigen Wirkung. Soviel
zum positiven Trend. Andererseits haben wir mindestens eine
Verdoppelung der Prozentzahlen bei der Forderung, die Limits in
Bezug auf die Aufnahme von Ausländern zu senken. Das hat meiner
Meinung nach nichts mit Rassismus im engeren Sinne zu tun. Das
trifft Italiener oder Portugiesen genauso wie leider auch Polen oder
jede andere Nationalität. Es ist eine Forderung, die meistens von
leistungsunwilligen Auszubildenden erhoben wird, weil sie diese
Konkurrenten - auch aus den EU-Ländern - vom Arbeitsmarkt in
Brandenburg fernhalten möchten. Diese Auffassung wird leider in der
Bevölkerung oft geteilt. |
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Insgesamt gesehen, zeigen die Anstrengungen im
Bereich der politischen Bildung in Brandenburg Wirkung, jedoch nicht
so schnell, wie wir uns das wünschen. Wir brauchen Zeit, um
Stereotype und tradierte, langjährig funktionale
Persönlichkeitsstrukturen langsam zu verändern. Der Kern des
Problems ist die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen. Diese
Gewaltbereitschaft wird sehr häufig in politische Symbolik
umgesetzt. Wir müssen eine Tabuisierung von Gewalt erreichen. Hier
liegt der Kern von Intervention und Prävention aus meiner Sicht. Bei
allen politischen Implikationen dürfen wir auch nicht vergessen, daß
der reale Lebenskontext von Jugendlichen ebenfalls Gegenstand von
Intervention und Prävention werden muß. Sie haben sich hoffentlich
gemerkt, daß der Kernpunkt der Persönlichkeitsstruktur von
Jugendlichen die Selbstüberschätzung ist, verbunden mit dem Gefühl,
nicht des eigenen Glückes Schmied zu sein. Wir müssen Jugendlichen
Möglichkeiten verschaffen, diese überschätzung in ihren
Alltagskontexten abzuarbeiten. Wir müssen ihnen akzeptierte Aufgaben
stellen, an denen sie beweisen können, daß sie selbst etwas für sich
leisten können. Es geht nicht nur um Aufklärung. Ein Ansatzpunkt für
vielerlei Interventionsmöglichkeiten ist die Schule. Allerdings ist
die Schule kein geeignetes Feld - und war es auch niemals - für die
Jugendlichen, um ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zu erwerben. Für
manche ist die Schule nicht mehr die entscheidende Referenzgruppe,
auch nicht die entscheidende Anforderungsstruktur, um zu zeigen, was
für ein Kerl man ist. |
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Meine drei Thesen möchte ich durch einen Appell
ergänzen. Wir sollten uns dem Problem konsequent und zuweilen auch
hart, aber trotzdem ohne Hektik und Aufregung stellen. Darin bin ich
mit den polnischen Fachkollegen offensichtlich einer Meinung. |
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Tabelle 1: Rechtsextremismus
unter Jugendlichen in Brandenburg und NRW
(1996, Studie "Antisemistismus
in Brandenburg und NRW", Angaben in %)
|
Niedrig |
Eher niedrig |
Eher hoch |
Hoch |
Brandenburg |
37 |
31 |
25 |
7 |
NRW |
60 |
25 |
12 |
3 |
Tabelle 2: Rechtsextremismus
unter brandenburgischen Jugendlichen 1993 und 1996
(Studie "Jugend in
Brandenburg", Angaben in %)
|
Niedrig |
Eher niedrig |
Eher hoch |
Hoch |
1993 |
36 |
37 |
20 |
7 |
1996 |
43 |
36 |
15 |
6 |
Literaturhinweise
|
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