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Die Deutsch-Polnische Gesellschaft Brandenburg, die Friedrich-Ebert-Stiftung,
Landesbüro Brandenburg, und der sich bildende Deutsch-Polnische Journalistenclub
UNTER STEREO-TYPEN / POD STEREO-TYPAMI hatten am 19.8. zu einer das alljährliche
Zigeunerfestival in Gorzów begleitenden Veranstaltung eingeladen.
Nach der ersten Journalistenkonferenz im November 1993 war dies das dritte
Treffen deutscher und polnischer Journalisten.
Das zweite hatte am 23.4.1994 in Potsdam stattgefunden und beschäftigte
sich mit dem Thema: "Grenzkriminalität - deutsch-polnische
Kooperation bei der Verbrechensbekämpfung. Gemeinsame Projekte, Erfolge,
Mißerfolge." Vor etwa 70 Teilnehmern (davon ca. 35 Journalisten)
referierten Vertreter von Zoll, Grenzschutz und Polizei beider Seiten.
Dort einigte man sich auf das nächste Treffen parallel zu dem Zigeunerfestival/
Romane Dyvesa.
Sinti und Roma, Zigeuner, Cyganie sind bei den Deutschen und Polen noch
unbeliebter als der jeweilige Nachbar. Angesichts der tiefsitzenden Vorurteile
gegenüber Zigeunern können die Deutschen und Polen noch zufrieden
sein mit ihren gegenseitigen stereotypen Zuweisungen.
Wie reagiert die deutsche und die polnische Bevölkerung auf diese
ungeliebte Minderheit? Und wie gehen die Journalisten mit diesem Thema
um? Welche Rechte erkennt man dieser Minderheit in Polen und in Deutschland
zu? Das sind zwar keine Fragen, die unmittelbar das deutsch-polnische
Verhältnis betreffen - aber mittelbar sehr wohl. Es sind Fragen,
die in beiden Staaten und Gesellschaften so gelöst werden müssen,
daß die Roma und Sinti unter uns leben können wie Gleiche unter
Gleichen. In Polen gibt es die deutsche, in Deutschland die polnische
Minderheit, in beiden Staaten die Minderheit der Roma, bzw. der Roma und
Sinti. Wie könnte man für die Rechte der deutschen bzw. polnischen
Minderheit eintreten, wenn man die der Roma und Sinti vergißt? Die
Überwindung der Abneigung, der Angst und der Aggression gegenüber
dem Anderen, dem Fremden ist notwendig und unteilbar. Toleranz und Neugier
auf den Anderen ist eine Haltung, die man erlernen kann und soll, das
beschränkt sich nicht auf Deutsche und Polen.
In Polen ist die Diskussion darüber, daß es notwendig ist,
ein Minderheitengesetz zu verabschieden, fortgeschrittener als in Deutschland.
In Warschau arbeitet eine entsprechende Sejmkommission unter dem Vorsitz
von Jacek Kuron daran. Die Minderheiten selbst haben das Recht, ihre Vorstellungen
dort vorzutragen und tun dies auch. Das erweist sich als ein nützlicher
Prozeß zugleich für diejenigen, die mit den Forderungen der
Minderheit konfrontiert werden, als auch für diejenigen, die sich
der schwierigen Aufgabe gegenübersehen, eine eigene, akzeptierte
Vision des Lebens der Minderheit in der Gesellschaft zu entwickeln. Schade,
daß ein solcher Prozeß in Deutschland noch nicht in Gang gekommen
ist. Bisher scheiterten alle Versuche, Minderheitenrechte im Grundgesetz
festzuschreiben. Die dänische und die sorbische Minderheit sind durch
die Landesverfassungen geschützt. Die Rechte z.B. der türkischen,
der polnischen und der Minderheit der Roma und Sinti sind ungeklärt.
In Deutschland muß man 100prozentig deutsch sein, um anerkannt zu
werden. Der Integrationsdruck ist übermächtig. So war es immer
und so soll es nicht bleiben.
Vergleichbar in beiden Ländern ist die Furcht der zum Teil integrierten
polnischen und deutschen Zigeuner (Polska Roma und Deutsche Sinti) davor,
daß sie ihre mühsam errungenen "Privilegien" verlieren
durch die Konfrontation mit den "dreckigen, bettelnden und stehlenden"
armen Verwandten aus Rumänien, dem ehemaligen Jugoslawien usw. Das
ist nicht erfreulich, aber verständlich, wenn auch nicht akzeptierbar.
Zugleich ist es offensichtlich, daß die Minderheit allein diese
Probleme nicht lösen kann.
Das Interesse an dem Treffen war überraschend groß. Knapp
100 Teilnehmer waren erschienen, davon weit über die Hälfte
Journalisten aus beiden Ländern. Denjenigen, die das wünschen,
schicken wir gern die gesammelten Presseartikel zu. Im folgenden dokumentieren
wir die Vorträge und den Hauptteil der Diskussion. Am Ende der Dokumentation
finden Interessierte eine kleine ausgewählte Literaturliste zum Thema.
R.H.
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Janusz Dreczka, Verantwortlicher für Kultur und Sport
im Wojewodschaftsamt Gorzów
Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, Sie im Namen des Landsberger
Wojewoden, Herrn Zbigniew Pusz, zu diesem Seminar, das sich mit dem Thema
der Minderheit der Zigeuner in Polen und Deutschland beschäftigt,
begrüßen zu dürfen. Es ist sehr schön, daß
das bereits zum sechsten Mal in Gorzów stattfindende Festival der
Zigeuner-Musikgruppen dieses Mal um eine solche Konferenz mit so vielen
anwesenden Journalisten erweitert wird.
Im Jahre 1947 kamen die ersten Zigeunerfamilien in die Umgebung von Gorzów.
Mit einer dieser Familien kam auch Edward Debicki, der bis heute hier
wohnt. Dank seiner Initiative findet hier alljährlich dieses Festival
statt.
Dieses Jahr wurde auch ein Literatur- und Komponistenwettbewerb ausgeschrieben.
Außerdem werden wir eine Institution ins Leben rufen, die in enger
Verbindung zu dem Schaffen von Frau Wajs-Papusza stehen und die Aktivitäten
der Zigeuner dokumentieren soll.
Ich denke, daß die heutigen Vorträge und Diskussionsbeiträge
interessant werden und daß Ihre Aktivitäten von der Gemeinschaft
der Zigeuner, die in Gorzów ansässig ist, auch wahrgenommen
werden. Ich wünsche Ihrer Veranstaltung viel Erfolg und lade Sie
herzlich zu allen Veranstaltungen ein, die wir im Programm angekündigt
haben.
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Ruth Henning, Deutsch-Polnische Gesellschaft Brandenburg (Potsdam)
Meine Damen und Herren. Ich begrüße Sie herzlich im Namen
der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Brandenburg und der Friedrich-Ebert-Stiftung
Potsdam, sowie im Namen des entstehenden Deutsch-Polnischen Journalistenclubs
POD STEREO-TYPAMI/UNTER STEREO-TYPEN. Wir freuen uns, daß Sie so
zahlreich erschienen sind. Aus der Anmeldungsliste geht hervor, daß
über 50 Journalisten gekommen sind und zum ersten Mal ziemlich genau
je zur Hälfte aus Polen und aus Deutschland. Das ist etwas Neues,
denn bisher stießen unsere Veranstaltungen auf der polnischen Seite
immer auf größeres Interesse als in der Bundesrepublik. Ich
schließe daraus, daß wir auch in Zukunft häufiger die
Treffen in Polen durchführen sollten.
Wir bedanken uns herzlich bei dem Wojewodschaftsamt in Gorzów,
in dessen Räumen wir tagen dürfen, bei der Gazeta Wyborcza in
Gorzów, deren Mitarbeiter uns geholfen haben, das Treffen vorzubereiten,
bei den Damen und Herren Referenten, die den Weg hierher gefunden haben
und zu uns sprechen werden. Es sind Edward Debicki, Roma-Poet und
Komponist aus Gorzów, künstlerischer Leiter dieses Festivals;
Andrzej Mirga aus Krakau, Ethnologe und Vorsitzender der Romavereinigung
in Polen; Katrin Reemtsma, Autorin und Spezialistin aus der Bundesrepublik
Deutschland, sie schrieb u.a. zwei Menschenrechtsberichte zur Situation
der Roma in Rumänien und in Jugoslawien; Rajko Djuric aus
Belgrad, heute in Berlin lebend und Vorsitzender der Internationalen Romani
Union; Piotr Madajczyk aus dem Ministerium für Kunst und Kultur
in Warschau und dessen Büro für Fragen der nationalen Minderheiten;
Adam Bartosz, Ethnologe und Direktor des Regionalmuseums in Tarnów,
des einzigen Museums auf der Welt, das eine ständige Ausstellung
über Geschichte und Kultur der Roma zeigt; Reimar Gilsenbach,
Schriftsteller aus Brandenburg, genauer gesagt aus Brodowin, Autor des
Buches "Oh, Django sing Deinen Zorn" mit vielen Geschichten
über Sinti in der ehemaligen DDR. Wir müssen feststellen, daß
von den Politikern, die wir eingeladen haben, niemand gekommen ist. Gottfried
Bernrath hatte zu viele Verpflichtungen, Jacek Kuron ist zumindest in
Gedanken bei uns, Markus Meckel hatte kurzfristig andere dringende politische
Termine.
Besonders bedanken wir uns bei den Veranstaltern des 6. Gorzówer
Zigeunerfestivals/ Romane Dyvesa dafür, daß wir von ihnen so
herzlich und umstandslos in ihr Programm aufgenommen worden sind. Wir
hoffen auf eine gegenseitige Durchdringung dieser beiden Veranstaltungen,
des Festivals und unseres Symposions, und darüberhinaus auf eine
gute Presse.
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Edward Debicki,
Künstlerischer Leiter des Zigeunerfestivals/ Romane Dyvesa (Gorzów)
Ich heiße Sie als Veranstalter zu unserem Festival in Gorzów
herzlich willkommen. Zuerst möchte ich den Präsidenten des Weltrates
der Zigeuner, Herrn Rajko Djuric, begrüßen. Ich möchte
auch Herrn Andrzej Mirga, der zur Verbreitung der Kultur der Zigeuner
wesentlich beigetragen hat, herzlich begrüßen. Er hat die aus
meiner Familie stammende Dichterin, Frau Bronislawa Wajs-Papusza, bekannt
gemacht. Ferner möchte ich Ihnen Herrn Adam Bartosz, den Direktor
des Regionalmuseums in Tarnów, vorstellen, der von seiner Geburt
an mit den Zigeunern eng verbunden ist. In dem Regional-museum in Tarnów
befindet sich die einzige ständige Sammlung in der Welt, die die
Zigeunerkultur dokumentiert. Ich danke allen Gästen für ihre
Teilnahme an diesem Seminar. Ich grüße auch alle Journalisten,
die sicher zur Verbreitung der Kultur und Kunst der Zigeuner beitragen
werden. Ich grüße auch die beiden ersten Organisatoren des
Zigeunerfestivals in München, Herrn Hain und Herrn Marek Chlebowicz.
Ich möchte hinzufügen, daß sie zwar keine Zigeuner sind,
aber große Liebhaber von Zigeunermusik.
Einige Worte zur Geschichte dieses Festivals: Das erste Festival war
sehr bescheiden. Damals kamen zu uns Gäste aus nur zwei Ländern:
aus der ehemaligen Tschechoslowakei und aus Frankreich. Das hatte noch
nicht viel mit unserem heutigen, professionellen Festival, zu dem Zigeuner
aus der ganzen Welt kommen, zu tun.
Warum haben sich unsere Familien gerade hier in Gorzów angesiedelt?
Weil diese Stadt den Zigeunern gegenüber wohlwollend war. Die schöne
Lage der Stadt, die sie umgebende Natur zog uns an. Wie Sie wissen, sind
die Zigeuner große Naturliebhaber. 1947 kamen wir hierher und seit
dieser Zeit leben wir hier. Hier lebte und wirkte auch Bronislawa Wajs-Papusza,
eine bekannte Zigeunerdichterin. Hier entstand das Musiktheater der Zigeuner
"Terno". Auch ich lebe hier, organisiere dieses Festival und
engagiere mich für die Pflege der wunderschönen Zigeunerfolklore.
Ich möchte Sie noch einmal herzlich zu unserem Kultur-, Musik- und
Tanzfest im Amphitheater einladen.
Und noch ein paar Worte:
Ich bin viel gereist in der Welt und muß feststellen, daß
Polen ein tolerantes Land ist. Das freut uns Zigeuner sehr. Obwohl - ehrlich
gesagt - : Diskriminierung gab es, gibt es und wird es geben, unabhängig
davon, was für ein System in einem Land herrscht. In Polen ist dies
jedoch nicht so spürbar.
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Andrzej Mirga,
Vorsitzender der Gesellschaft der Roma in Polen (Krakau)
Ich möchte versuchen, Ihnen zunächst die rechtliche Situation
der Roma in Polen kurz darzustellen. Im Saal sind ja auch Vertreter aus
Deutschland, sie werden Ihnen die Situation der Roma in Deutschland schildern.
Im Laufe der Diskussion zeigen sich möglicherweise Unterschiede
in der Situation der Roma in beiden Ländern. Der Rest wird sich durch
Ihre Fragen und unsere Antworten ergeben.
Man muß in die Vergangenheit zurückgehen, um die heutige rechtliche
Situation der Roma schildern zu können. Denn unsere heutige Situation
unterscheidet sich wesentlich von der vor 1989. Vor dem Krieg lebten in
Polen etwa 50.000 Roma. Durch Krieg und Verfolgung verlor unsere Gemeinschaft
fast 70% ihrer Angehörigen. Nach dem Krieg zählte man noch etwa
15.000 Roma. Ähnlich, wie in den anderen Ländern des "sozialistischen
Lagers", das nach dem Krieg entstand, wurde die Minderheit der Roma
in Polen nicht als ethnische Gruppe anerkannt. Damals griff man zu Euphemismen.
Eine typische Bezeichnung, die früher in den Dokumenten gebraucht
wurde, lautete "Bevölkerung zigeunerischer Herkunft". Keiner
konnte jedoch sagen, was diese Bezeichnung eigentlich bedeutete. Die Regierung
war sich selbst nicht eindeutig darüber im klaren, wie sie die Roma
behandeln sollte. In vielen Dokumenten kann man auch Bezeichnungen wie
"nationale Minderheit" oder "Nationalität" finden.
In einigen Statistiken wird die Gruppe der Roma im Zusammenhang mit anderen
nationalen Minderheiten aufgeführt, wie z.B. den Deutschen, Tschechen,
Slowaken. Man sieht, der Standpunkt der Regierung in Bezug auf die Bezeichnung
der Roma war nicht eindeutig.
Gleich nach dem Krieg unternahm die polnische Regierung Schritte zur
Lösung der Zigeunerfrage. Schon in den Jahren 1946/47 entstand ein
Regierungsprogramm zur "Eingliederung der Roma in den Arbeitsprozeß".
Aus dieser Idee ist natürlich nichts geworden.
Im Jahre 1952 wurde dann ein Gesetz über die "Staatshilfe beim
Übergang in die seßhafte Lebensweise verabschiedet". Aus
dieser Formulierung kann geschlossen werden, daß der Staat die Roma
als eine Wanderminderheit betrachtete. Tatsächlich zogen 75% der
Roma in Polen von Ort zu Ort. Deswegen stellte der Staat die Frage der
Ansiedlung der Roma auch an die erste Stelle. Dieser Prozeß war
natürlich schwierig und lief in verschiedenen Phasen ab. Als das
Zentralkomitee, dem die Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten
angeschlossen war, die Ergebnisse der Realisierung des Gesetzes von 1952
zusammenfaßte, stellte man fest, daß sich nur wenige der 75%
wandernder Roma angesiedelt hatten. Die Schlußfolgerung war einfach:
die Aktivitäten müssen beschleunigt werden, wenn notwendig auch
unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen. Konsequenz war die Anwendung
einer härteren Zwangspolitik gegenüber den Roma ab 1964.
Entsprechend einer internen Verordnung des Ministerpräsidenten wurden
Aktivitäten vorbereitet, die ganz Polen umfaßten. Am 23. März
1964 führte man die Meldungspflicht für alle nicht seßhaften
Roma ein. Aus diesem Jahr haben wir eine vollständige Statistik:
1964 wurden über 1.100 wandernde Familien registriert. Das Angebot
der Regierung zur Ansiedlung nahmen etwa 200 Familien an. Erst in den
folgenden Jahren konnte aufgrund systematischer Zwangsmaßnahmen
der Regierung und unter Androhung von Strafen für Nichtseßhaftigkeit
der Ansiedlungsprozeß verstärkt durchgeführt werden. Aber
endgültig verschwanden die Roma mit ihren traditionellen Fuhrwerken
von den polnischen Straßen erst in den 80er Jahren. Der Ansiedlungsprozeß
war abgeschlossen. Gemäß dem Gesetz bemühte sich der Staat
um Hilfeleistung bei dem Übergang in die seßhafte Lebensweise:
den Roma wurden Wohnungen angeboten (bis heute kann man diese Baracken
in der Nähe einiger Städte sehen). Wenn jemand eine ständige
Arbeit hatte, dann war der Staat gegenüber seiner Familie wohlwollender
und bemühte sich um bessere Wohnbedingungen für sie.
Man muß hinzufügen, daß die Regierung gerade in der
Zeit, in der die Ansiedlungspolitik gegenüber den Roma realisiert
wurde, besonders daran interessiert war, daß sich die Roma selbst
Organisationen schaffen. Alle diese Organisationen hatten die Aufgabe,
kulturelle, Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen zu fördern. Eine
der ersten Organisationen entstand 1963 in Tarnów. Es war eine
lokale Organisation und sie bezeichnete sich als Kultur- und Bildungsgesellschaft,
woran man die Ziele und Aufgabenstellung dieser Gesellschaft erkennen
kann. Es gab jedoch nicht viele Organisationen dieser Art. Die Mehrheit
der nicht seßhaften Roma war an der Schaffung von derartigen Strukturen
nicht interessiert. Man muß hinzufügen, daß für
die Roma in Polen, wie auch für alle anderen Minderheiten das Innenministerium
zuständig war. Dort existierte ein Referat für Angelegenheiten
der Zigeuner. Seine Aufgabe bestand in der Sammlung von Informationen
über die Roma / Zigeuner. Es wurde unter anderem eine Anfrage an
die örtlichen Abteilungen des Innenministeriums verschickt. Vor Ort
gab es eine Person, die die Funktion des Vormundes der Zigeuner innehatte
und die Informationen über die Roma an das Ministerium lieferte.
Nach 1989 folgte eine generelle Veränderung. Von da an war das Ministerium
für Kultur und Kunst zuständig. Eine zweite einschneidende Änderung
bedeutete die Einberufung einer Sejm-Kommission für Angelegenheiten
der ethnischen und nationalen Minderheiten. In diesem Zusammenhang kann
ich auf das besondere Interesse und Engagement Jacek Kurons, des derzeitigen
Vorsitzenden der Sejm-Kommission, verweisen. Auf die Verabschiedung eines
Minderheitengesetzes warten die Roma in Polen noch, genauso wie auch in
anderen Ländern. Bis jetzt gibt es ein solches Gesetz in Polen nicht,
aber ich hoffe, daß es bald verabschiedet wird. Das Helsinki-Komitee
in Warschau organisierte mehrere Arbeitstreffen, auf denen die Vertreter
der verschiedenen Minderheiten Gelegenheit hatten, ihre Forderungen vorzutragen.
Die Roma haben dort selbst an einem der Projekte mitgearbeitet, vielleicht
findet es sich unter den Projekten, die dem Parlament vorgelegt werden.
Die Minderheit der Roma wird in Polen zur Zeit als nationale oder ethnische
Minderheit betrachtet. Für uns ist das Büro für Angelegenheiten
der nationalen Minderheiten zuständig, das unsere Arbeit fördert
und finanziell unterstützt.
Die soziale Situation der Roma ist nach wie vor schlecht und die damit
zusammenhängenden Probleme sind schwer zu lösen. Wir haben keine
genauen Informationen über die Zahl der heute in Polen lebenden Roma.
Unserer Schätzung nach sind es etwa 30.000. Viele der Roma in Polen
hatten früher eine Arbeit. Jetzt allerdings sind sie in sehr hohem
Maße von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie waren die ersten, die die
Arbeit verloren. Mangelnde Qualifikation und fehlende Ausbildung waren
der Anlaß.
Das nächste Problem ist die materielle Situation und die ungelöste
Wohnungsfrage des größeren Teils der Roma. Bei der Realisierung
des Beschlusses von 1952 bemühte sich der polnische Staat, den Roma
zu helfen, eine Wohnung zu bekommen. Diese hatten bis in die 80er Jahre
eigentlich eigene Wohnungen, und es gab diesbezüglich kein größeres
Problem. Aber mit den Jahren vergrößerten sich die Familien
der Roma. Die Wohnfläche blieb jedoch gleich. Deshalb ist die Mehrzahl
der Wohnungen überfüllt. Daraus entsteht eine Reihe von Problemen
und Konflikten.
Eine weitere Schwierigkeit betrifft die Frage der Schulbildung der Roma.
Vor 1989 galten für die Roma dieselben Beschlüsse und Vorschriften
wie für die Polen. Das Schulwesen war obligatorisch und bis 1983
(bis zu diesem Jahr kennen wir die Statistik) besuchten ca. 80% der Zigeunerkinder
die Schule. Das war ein ziemlich hoher Prozentsatz. Nur wenige dieser
Kinder schafften jedoch den Sprung von Klasse zu Klasse. Zur Zeit entstehen
verschiedene Probleme gerade im Zusammenhang mit der Ausbildung der Zigeunerkinder.
Ein großer Teil der Kinder besucht die Schule aus verschiedenen,
oft materiellen Gründen überhaupt nicht. Auf eine Initiative
von Pfarrer Opocki hin werden jetzt spezielle Schulen bzw. Klassen für
Zigeunerkinder entstehen, die mit dem didaktischen Prozeß in den
normalen Schulen nicht zurecht kommen oder einfach die Schule nicht besuchen
wollen. In etwa 20 Orten entstanden solche speziellen Klassen nur für
Zigeunerkinder. Es wird behauptet, daß man für die Ausbildung
der Zigeunerkinder besondere Programme schaffen müsse. Darin liegt
jedoch auch eine Gefahr, und man sollte vorsichtig damit umgehen. Diese
Frage ist sehr wichtig und wir müssen möglich schnell eine Lösung
finden.
Es ist schwer, das Verhältnis zwischen Polen und Roma eindeutig
zu charakterisieren. Es gab zu verschiedenen Zeiten Konflikte zwischen
der Bevölkerung der Roma und den Nichtzigeunern, wie z.B. in Mlawa
1990. 1981 kam es zu Zusammenstößen in Konin und Auschwitz.
Das sind also nur drei Fälle. Andererseits gibt es bestimmte Ängste
unter den Roma, die unterschiedlich zum Ausdruck kommen. So existiert
eine Angst vor den Aktivitäten der Skinheads in Polen. Unsere Gesellschaft
wurde deswegen bereits mehrere Male alarmiert. Mehrmals kam es zu Überfällen
von Skinheads auf Roma, die sich auf Campingplätzen im südlichen
Teil Polens aufhielten. Letztens hatte ich selbst mit einem solchen Vorfall
zu tun, als Skinheads rumänische Zigeuner, die sich in der Nähe
von Krakau aufhielten, angriffen. Unserer Meinung nach geht es hier um
kein besonders wesentliches Problem. Es gibt nicht so viele Skinheads
in Polen. Wir sprechen es jedoch an, weil es Befürchtungen unter
den Roma gibt und sie wegen der Aktivitäten dieser Gruppen in Polen
beunruhigt sind.
Generell können jedoch die Beziehungen zwischen der polnischen und
der Roma-Bevölkerung als positiv bezeichnet werden. Sicherlich spielte
dabei die Gerichtsverhandlung nach dem Geschehen in Mlawa eine große
Rolle. Vor allem die schnelle Reaktion der Regierung und die Verurteilung
durch die Massenmedien waren hierfür von großer Bedeutung.
In Rumänien dagegen, wo etwa 50 solcher offenen und weitaus schärferen
Konflikte in den letzten vier Jahren registriert wurden, reagierte die
Regierung darauf nicht unmittelbar und "erlaubte" damit die
Lösung der Minderheitenprobleme in dieser Form. In keinem einzigen
Fall dieser 50 Übergriffe kam es bis heute zu einem Prozeß.
In Polen dagegen kam es sofort zu einem Gerichtsprozeß. Diese Tatsache
hat das Verhältnis zwischen Polen und Roma positiv beeinflußt.
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Katrin Reemtsma,
Autorin (Berlin)
In meinem heutigen kurzen Referat beschäftige ich mich in erster
Linie mit Fragen von Migration und Flucht von Roma aus Südosteuropa
über Polen, Tschechien und die Slowakei nach Deutschland. Nach dem
Fall der Mauer und der Öffnung der Grenzen wurden Roma in Polen und
in Deutschland zu einem viel diskutierten Aspekt des öffentlichen
Lebens. Ihre Zuwanderung ist Teil der allgemeinen Ost-West-Migration.
Sie ist also kein kulturspezifisches Phänomen, sondern Ausdruck für
ungelöste sozioökonomische und politische Probleme in den Herkunftsländern.
Allerdings weist die Fluchtbewegung der Roma aus den Balkanländern
bestimmte Faktoren auf, die nur die Situation und die Lebensbedingungen
der Roma betreffen. Auf einige dieser Faktoren möchte ich eingehen.
Frühere Migrations- und Fluchtbewegungen
Die Zuwanderung der Roma von Ost nach West oder auch aus dem Süden
hat historische Vorläufer. Bereits in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts
begann die erste neuzeitliche Zuwanderung von Roma aus Südosteuropa,
insbesondere aus den Gebieten Altrumänien, Ungarn und zwischen den
Balkankriegen auch aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die damaligen Ursachen
waren in Altrumänien die Aufhebung der Leibeigenschaft (1855/56),
der Roma dort jahrhundertelang unterworfen waren. In der Zeit zwischen
den beiden Balkankriegen kamen auch viele Roma aus dem späteren Jugoslawien,
sie waren also Kriegsflüchtlinge. Hinzuzufügen ist, daß
damals noch mehr Roma vom Reisegewerbe lebten und auch alle europäischen
Länder durchreisten, um ihr ökonomisches Überleben zu sichern.
In dieser Zeit also - von 1850 bis zum Ersten Weltkrieg - fand die erste
große und bekannte Migrationswelle von Roma aus Südosteuropa
in den Westen statt. Die Roma gingen damals nach Deutschland, Österreich
und weiter bis in die USA und andere amerikanische Länder.
Nach 1945 kam zunächst eine kleinere Anzahl von Roma aus Polen nach
Deutschland und zwar in den 50er Jahren. Zum Teil geschah das freiwillig,
zum Teil wurden sie dazu genötigt. Seit Anfang der 70er Jahre kamen
dann Roma aus Jugoslawien, insbesondere aus Mazedonien und Serbien, als
Arbeitsmigranten. Diese Roma waren das, was in der alten Bundesrepublik
Gastarbeiter hieß. Ihre Kinder sind hier groß geworden, hier
zur Schule gegangen, sie sprechen deutsch, mazedonisch, serbisch, romanes
oder auch englisch. Sie leben weitgehend integriert in der deutschen Bevölkerung.
Ebenfalls in den 70er Jahren fand in dem ehemaligen Jugoslawien eine Abwanderung
statt, die in der Bundesrepublik zunächst mit dem Begriff der sogenannten
Staatenlosen charakterisiert wurde. Dabei handelt es sich um Roma-Familien,
die zunächst nach Italien gingen, später nach Frankreich, aber
in keinem dieser Länder ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erwerben
konnten, deren Kinder in verschiedenen Ländern geboren sind, ohne
daß sie jemals Papiere erhalten hätten. So wurden sie abgeschoben
und kamen schließlich - zum Teil über Belgien - Ende der 70er
Jahre auch verstärkt in die Bundesrepublik.
Ab Mitte der 80er Jahre gab es eine erneute Zuwanderung aus dem ehemaligen
Jugoslawien. Diese Menschen kamen in erster Linie als Asylbewerber.
Und die letzte große Zuwanderung begann nach 1990, also nach der
Öffnung der Grenzen. Die Roma kamen in erster Linie aus Rumänien,
dem ehemaligen Jugoslawien, dort insbesondere aus Mazedonien und Serbien,
und seit Beginn des Krieges eben auch als Kriegsflüchtlinge aus Bosnien
und zum kleineren Teil aus Bulgarien. In dieser Zeit gab es auch einige
wenige Roma, die aus der tschechischen und der slowakischen Republik wie
aus Polen kamen.
Zur NS-Verfolgung
Ein weiterer wichtiger Faktor, der die heutige Situation der Roma sehr
stark mitbedingt, insbesondere derer aus dem ehemaligen Jugoslawien, Serbien
und Bosnien: Alle Roma Südosteuropas, Osteuropas, aber auch die deutschen
Sinti sowie die aus den besetzten Ländern Frankreich, Belgien usw.
waren während des Nationalsozialismus systematisch verfolgt worden.
Die Verfolgung der Roma in Serbien fand bereits sehr früh, 1941/42,
und ausgesprochen systematisch statt; sie war praktisch bereits abgeschlossen,
bevor sie in Deutschland systematisch begann. Roma wurden in Konzentrationslager
verschleppt, als Geiseln erschossen, in Massakern umgebracht. Im August
1942 hieß es: ". . . Judenfrage, ebenso wie Zigeunerfrage völlig
liquidiert. Serbien einziges Land, in dem Judenfrage und Zigeunerfrage
gelöst." Viele der Flüchtlingsfamilien aus dem ehemaligen
Jugoslawien, die in die Bundesrepublik gekommen sind, haben Angehörige,
die Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung sind. Viele
dieser Familien sind auch heute wieder aus der Bundesrepublik abgeschoben
worden.
Ursachen
Es gibt mehrere Faktoren, die die Roma dazu bewegen, ihr Heimatland zu
verlassen. Bis heute sind die Auswirkungen der NS-Verfolgungen insbesondere
bei Roma aus Serbien zu spüren. Vielen Familien gelang es nicht,
nach dem Überleben der Verfolgung wirtschaftlich wieder auf die Beine
zu kommen. In Serbien kam es in den vergangenen Jahren zu Zwangsrekrutierungen
für den Krieg und zu Vertreibungen von Roma aus ihren Siedlungen
in der Woiwodina. Die wirtschaftliche Lage ist sehr schlecht und macht
es vielen Roma wie auch anderen fast unmöglich, ihr wirtschaftliches
Auskommen irgendwie zu sichern. Auch in Mazedonien ist die wirtschaftliche
Situation sehr schlecht. In all diesen Ländern gibt es gleichzeitig
eine sehr starke gegen die Roma gerichtete Diskriminierung. Schließlich
sind auch unter den Kriegsflüchtlingen aus Bosnien viele Roma.
Die Roma aus Rumänien flüchteten vor einer oftmals ausweglosen
sozio-ökonomischen Situation. Diese wird charakterisiert durch Diskriminierung
in allen Lebensbereichen, Chancenlosigkeit in Schule und Arbeitsleben,
Wohnen in segregierten Vierteln, Kinderarbeit, Arbeitslosigkeit. Im ganzen
ein Kreislauf, aus dem man nur sehr schwer herauskommt.
Zudem ist es in den vergangenen vier Jahren zu schweren Menschenrechtsverletzungen
an Roma in Rumänien gekommen. Etwa 30 Pogrome mit zahlreichen Toten
wurden gegen Roma verübt. Ganze Romasiedlungen in einzelnen Orten
existieren nicht mehr. Die Häuser wurden verbrannt und die Menschen
aus den Dörfern vertrieben mit dem festen Vorsatz, sie nie wieder
dorthin zurückkehren zu lassen. In keinem einzigen Fall ist es zu
einer Verurteilung von Tätern gekommen. An diesen Taten waren oft
auch Bürgermeister, Polizeibeamte, also staatliche Behörden
mitbeteiligt, sodaß man in Rumänien schon von staatlich begangenen
Menschenrechtsverletzungen sprechen kann. Die ersten Roma, die damals
über Polen nach Deutschland kamen, wollten dort eigentlich nur arbeiten
und anschließend zurückkehren. Sie mußten aber sehr schnell
feststellen, daß ihre einzige rechtli-che Existenzmöglichkeit
das Recht auf Asyl war. Die Anträge wurden, wie Sie wissen, in der
Regel abgelehnt. Nach dem deutsch-rumänischen Rückführungsabkommen
wurden die Roma abgeschoben, und das ohne Einhaltung der Rechtsprozeduren
der Bundesrepublik. Zurück in Rumänien stehen sie wieder auf
der Straße.
Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland
Der dritte Faktor, der die Existenz der Roma - zumindest in der Bundesrepublik
- sehr stark beeinträchtigt, und auch zu heftigen Diskussionen in
den vergangenen Jahren geführt hat, ist der, daß die Roma die
einzige Flüchtlingsgruppe sind, die auf eine tradierte Wahrnehmungsstruktur
treffen. Viele Bilder, die wir in den Medien gesehen haben, z.B. von der
deutsch-polnischen Grenze, aber auch über die Bedingungen vor den
Asyl-Anlaufstellen in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, entsprachen
genau dem Bild, das viele Leute in ihren Köpfen von "Zigeunern"
haben. Sie leben draußen, sie kommen in großen Massen,
sie betteln und stehlen, alles ist chaotisch und einzelne Personen sind
nicht eindeutigen Namen zuzuordnen. Dieses Bild wurde in den letzten
Jahren in der Bundesrepublik reaktiviert. Dabei fiel unter den Tisch,
daß die absolute Mehrheit der Roma in der Bundesrepublik eben nicht
auffällig ist, sondern entweder als Immigranten seit Jahrzehnten
dort lebt oder als reguläre Asylbewerber, die nicht mehr Anstoß
erregen als andere Flüchtlinge auch, nämlich gar keinen oder
sehr wenig. Die Reaktivierung dieser alten Bilder wurde auch von politischer
Seite sehr stark betrieben. Nach den Vorfällen in Rostock sagte der
Ministerpräsident Seite damals: Jetzt kommen sogar die Nomaden
und beantragen Asyl. Dahinter steht einmal das falsche Bild der Roma
als Nomaden, die dies garnicht sind. Denn die Roma, die aus den Balkanländern
kommen, sind seßhaft, und das zum Teil seit Jahrhunderten. Zweitens
gilt es sowieso als die beste politische Maßnahme gegenüber
den Roma, garnichts zu tun. Sie werden einfach nicht regulär abgefertigt.
Damals, als in Rostock die Konflikte eskalierten, sind viele Roma garnicht
mehr abgefertigt worden. Nachdem die Heime brannten, konnten plötzlich
alle Antragsteller, auch die Roma, in anderen Heimen untergebracht werden,
während es vorher immer geheißen hatte, es gebe keinen Platz.
In dem Kontext der damaligen Asyldiskussion benutzten Politiker die Roma,
um Asylbewerber in einem negativen Licht erscheinen zu lassen. Das führte
zu einer Reihe von Konflikten in der Bundesrepublik, zur Reaktivierung
alter Bilder und Vorurteile, und verhinderte ein Verständnis der
Fluchthintergründe.
Politische Antworten
Auf die Situation, aus der die Roma kommen, gibt es keine asylrechtlichen
Antworten. Die Asylanträge werden in der Regel abgelehnt. Viele Lebensschicksale
sind auch nicht das, was man als asylrelevant bezeichnet. Allerdings ist
es erforderlich, auf die spezifische Situation, in der die Roma leben,
eine politische Antwort zu finden. Notwendig ist eine eindeutige Ausformulierung
der Minderheitenrechte, die es bisher in vielen Länder nicht gibt.
Darüberhinaus muß es Formen der sogenannten positiven Diskriminierung
geben. Den Roma müßte eine spezifische Förderung zuteil
werden im schulischen, kulturellen und im politischen Bereich. Die Bundesrepublik
muß eine politische Regelung für Roma-Flüchtlinge finden.
Es gibt die Vereinbarung, daß Juden aus der ehemaligen Sowjetunion
als Kontingentflüchtlinge in die Bundesrepublik kommen können.
Begründet wird diese Maßnahme damit, daß Juden dort einem
wachsenden Antisemitismus ausgesetzt seien und zudem Opfer der nationalsozialistischen
Verfolgung waren. Beide Argumente treffen auf die Roma genauso zu, denn
auch sie waren Opfer systematischer nationalsozialistischer Verfolgung.
In Rumänien, Mazedonien, aber auch in Tschechien und der Slowakei,
wo es viele Skinhead-Übergriffe gibt, sind Roma Menschenrechtsverletzungen
ausgesetzt. Auf diese Situation muß es eine politische Antwort geben,
aber die wird weder gesucht noch gewollt. Im Gegenteil: die Grenzen wurden
dichtgemacht, das deutsch-rumänische Abkommen unterzeichnet, wodurch
Roma und natürlich auch Rumänen, aber doch vor allem Roma, vereinfacht
abgeschoben werden können. Ihnen wird vom Bundesgrenzschutz jegliches
Geld oder mögliche andere Besitzstände abgenommen. Wenn sie
also zurück in Rumänien sind, haben sie kein Geld, um in ihre
Heimatorte zurückzukehren. Sie stehen mit ihren Kindern am Flughafen
und müssen sehen, wie sie sich durchschlagen. Zur Zeit kommen so
gut wie überhaupt keine Roma mehr aus dem ehemaligen Jugoslawien
und praktisch keine mehr aus Rumänien in die Bundesrepublik.
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Rajko Djuric,
Vorsitzender der Internationalen Romani-Union (früher Belgrad,
jetzt Berlin)
Sehr geehrte Damen und Herren. Wir sind ein kleines Volk zwischen den
großen Welten. Nach Schätzung der Forscher gibt es heute ca.
12 Millionen Roma und Sinti. Die Mehrheit ist in Europa angesiedelt, und
zwar überwiegend in den osteuropäischen Ländern, die übrigen
sind auf der ganzen Welt verstreut: in Amerika, Afrika und Australien.
Verfolgung, Zwangsassimilierung und erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts
Integration sind die Kategorien, die die grundlegenden historischen Tendenzen
und das Verhältnis der Mehrheitsbevölkerung gegenüber den
Roma und Sinti bezeichnen. Ich möchte Sie nicht mit langen Ausführungen
über unsere Geschichte belasten, nur ein paar Worte. Die Roma und
Sinti stammen aus Indien. Und sicher war es nicht ihre freie Wahl, dort
wegzugehen, sondern es gab einen schrecklichen Krieg zwischen islamischer
und indischer Bevölkerung. Deshalb mußten sie Indien, genauer
Nordwestindien, verlassen. Die Roma und Sinti mußten in fremden
Ländern leben und sterben. Aber das Recht auf ein eigenes Heim und
ein eigenes Grab wurde ihnen jahrhundertelang verwehrt. Sie mußten
fremde Namen und Religionen annehmen, sich fremden Bräuchen und Gewohnheiten
anpassen, wortlos alle Ungerechtigkeiten und Gewalt ertragen, auch dann,
wenn es sich um ihr eigenes Überleben handelte. Jedes Land und jede
Zeit versah sie mit ihrem Zeichen. Und so weiß man nicht, was furchtbarer
ist: die auf dem Körper dieses Volkes sichtbaren Zeichen oder die
Narben in seiner Seele. Untersuchte man alle Tatsachen aus dem Leben der
Roma und Sinti objektiv, so tauchte vielleicht die Frage auf: Wie schafften
sie es überhaupt, sich auf diesem Planeten zu behaupten? Sie gingen
tausend Jahre lang den Pfad, der dem Tod näher war als dem Leben.
Wenn sie um Brot baten, wurden sie gesteinigt, sogar Wasser wurde ihnen
verweigert - solche Beispiele gibt es noch heutzutage in mehreren osteuropäischen
Ländern -, sodaß sie ihren Durst heimlich stillen mußten.
Auf ihren Schatten wurde mit dem Finger gedeutet. Sie suchten Schutz in
den Wäldern und Kreuzwegen. Infolgedessen verloren sie das Vertrauen
in sich selbst und in alles Menschliche. Selbstbehauptung erschien in
ihren Augen wie ein unerwartetes Geschenk, ja fast wie ein Wunder, so
als ob sie jeden Tag ihr zweites Leben begönnen. Das Leben bescherte
ihnen kein Glück, aber sie waren dennoch glücklich, daß
sie lebten. Scheinbar verleiht die Angst vor dem Tod allen Dingen Schönheit.
Ich möchte Sie an die Drehpunkte dieser Welt erinnern: Freiheit,
Liebe und Frieden. Diese Wörter kommen in vielen Büchern von
Autoren vor, die sich durch das Leben der Roma und Sinti haben inspirieren
lassen. Es gibt ein Dutzend Dichter und Schriftsteller - auch in Polen
-, die darüber geschrieben haben. Vereinzelt waren die Roma und Sinti
auch Gegenstand soziologischer und empirischer Untersuchungen, so z.B.
im ehemaligen Jugoslawien, in der Tschechoslowakei usw. Mehrere Forscher
haben konstatiert, daß bei den Roma und Sinti die grundlegenden
Werte noch immer Gleichheit, Freundschaft und Solidarität sind. Sicher
sind das auch universale Werte.
Heutzutage erlebt die Romagemeinschaft ein Drama. Das haben Andrzej Mirga
und Katrin Reemtsma gut geschildert. Ein Beispiel: Unsere Gemeinschaft
kann nicht mehr existieren mit seiner uralten Tradition. Es gibt sehr
viele Analphabeten unter uns, aber wir leben in einer modernen technologischen
Gesellschaft. Die Roma befinden sich erneut zwischen Scylla und Charybdis.
Doch es gibt auch positive Beispiele. Paradoxerweise gerade in den osteuropäischen
Ländern, wo sie verfolgt werden. Eben dort gibt es Roma-Institutionen,
Zeitungen, Zeitschriften, Verlage, Rundfunk- und Fernsehsendungen, sogar
einen Lehrstuhl für Romologie, wie z.B. an der Universität in
Nitra in der Slowakei. Andererseits gibt es so etwas in Westeuropa überhaupt
nicht . Auch dieses Festival in Gorzów ist ein sehr positives Beispiel,
aber leider findet man etwas Vergleichbares nur sehr selten in den westeuropäischen
Ländern. Es lohnt sich darüber nachzudenken, warum das so ist.
Die Roma und Sinti begannen, eigene Kulturvereine, Organisationen und
in manchen osteuropäischen Ländern auch politische Parteien
zu gründen. Z.B. in Ungarn, Rumänien, der tschechischen Republik,
der Slowakei, Mazedonien und Spanien. Dort bekamen die Roma ihre ersten
Abgeordneten oder Vertreter in der Regierung. Dank dessen erreichten sie
in Mazedonien und Slowenien, in Ungarn und der tschechischen Republik
den Status einer nationalen Minderheit, der entweder in der Verfassung
oder in besonderen Gesetzen definiert ist oder noch wird.
In der Internationalen Romani Union haben wir mehrfach darüber gesprochen:
Für die Roma und Sinti ist heutzutage die Frage ihres Status die
grundlegendste Frage. Es geht unserer Meinung nach in erster Linie nicht
um soziale, sondern um politische Fragen. Deshalb ist unsere Hauptforderung,
unseren Status auf der Verfassungsebene zu definieren.
Es gibt mehrere positive Initiativen, wie z.B. in Österreich und
Italien. Aber ich muß ganz offen sagen, daß ich mich sehr
wundere, warum es so etwas in Deutschland nicht gibt? Die Dänen und
die Sorben sind auf Landesverfassungsebene als nationale Minderheit definiert.
Meiner Schätzung nach leben heute zwischen 300.000 und 400.000 Roma
und Sinti in Deutschland, als Gastarbeiter, als Flüchtlinge, Asylbewerber
usw. Das sind vielleicht 50 mal soviel wie Dänen. Dänen gibt
es zwischen 10.000 und 16.000. Aber die Roma haben kein solches Recht
zuerkannt bekommen, sie existieren nicht auf der politischen und der Verfassungsebene.
Diese Anerkennung müssen wir auch in der Bundesrepublik Deutschland
erreichen.
Einige dieser positiven Veränderungen in bestimmten Ländern
sind auch das Resultat der Aktivitäten der internationalen Organisation
der Roma und Sinti, der Internationalen Romani Union. Diese Organisation
ist jetzt auch in den Gremien der Vereinten Nationen tätig und es
hat schon mehrere Konferenzen im Europäischen Rat, im Europäischen
Parlament usw. in Straßburg gegeben. Eine KSZE-Konferenz in Warschau
vom 20.-23. September steht bevor. Dort wird man sich ausschließlich
mit dem Problem der Roma und Sinti beschäftigen und adäquate
positive Lösungen suchen.
Die Roma und Sinti sind in allen Ländern und allen Orten eine Minderheit,
sie könnten unter den Rädern der großen Welt verschwinden,
d.h. das Schicksal jener Völker erleben, die vom Angesicht unseres
Planeten verschwunden sind. Beim Nachdenken über die Opfer der Roma
und Sinti in Auschwitz, schrieb ein deutscher Dichter:
"Ein Land ohne Zigeuner ist kein freies Land."
Wie könnte man es verteidigen, wenn dieses Volk und seine Kultur
verschwinden? An wen sollen wir unsere Botschaft richten? Angesichts des
Wiederauferstehens faschistoider, ja sogar nationalsozialistischer Parteien
ist das eine lebenswichtige Frage.
Es gibt sehr viele Beispiele dafür, daß das Drama sich zuspitzt.
In Jugoslawien gibt es offiziell die "ethnische Säuberung".
Das wird nicht nur ideologisch proklamiert, sondern auch praktisch umgesetzt.
Katrin Reemtsma hat uns geschildert, was mit den Roma in Rumänien
passiert. Allein innerhalb eines Jahres wurden 28 junge Roma getötet
und niemand wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Solche schlechten
Beispiele gibt es auch in anderen Ländern.
Die Leute, die eine Vorstellung davon haben, was Humanismus bedeutet,
die wissen, daß in dem Wort und Begriff Mensch unsere gemeinsame
Zukunft beinhaltet ist, sollten und dürfen die Roma und Sinti nicht
vergessen.
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Adam Bartosz,
Ethnologe, Direktor des Regionalmuseums in Tarnów
Zu Beginn möchte ich zu dem Stellung nehmen, was Andrzej Mirga und
Edward Debicki gesagt haben, die ausdrücklich betonten, die polnischen
Roma lebten in einem toleranten Land. Wir sind natürlich stolz darauf,
aber ich möchte dieses Bild der Beziehungen zwischen Polen und Roma
doch ein bißchen korrigieren.
In Polen leben 30.000 Roma, wenn man die Roma, die in den letzten Jahren
aus Rumänien kamen, nicht mitzählt. 30.000, das ist ein verschwindender
Bruchteil einer Gesellschaft. Das ist die niedrigste Zahl von Roma im
Vergleich zu der Zahl der Roma in jedem anderen Polen benachbarten Land.
Daß die Gruppe der Roma so klein ist, ist unter anderem ein Grund
dafür, daß sich die Roma hier sicherer fühlen als woanders.
Gleichzeitig zeigen verschiedene Umfragen, die in den letzten Jahren veröffentlicht
wurden, daß der Grad der Abneigung gegenüber den Zigeunern,
den Roma in Polen sehr hoch ist. Diese Abneigung gegenüber Zigeunern
kommt besonders in den letzten drei Jahren zum Vorschein. Seit vier Jahren
haben wir es mit einer "Invasion" der Roma aus Rumänien
zu tun. Seit vier Jahren sind Zigeuner wieder auf den Straßen der
polnischen Städte zu sehen. Ihre Andersartigkeit ihr "Dreck",
ihre "Frechheit" und ihr Elend sind die Gründe dafür,
daß sich der Widerwille gegenüber den Zigeunern verstärkte.
Deswegen wäre ich nicht so gelassen wie Andrzej Mirga, der Polen
für ein sicheres Land hält, obwohl er doch die Situation in
den anderen Ländern gut kennt, wo es häufig zu Überfällen
auf Roma kommt, wie z.B. in einigen Städten und Siedlungen in Rumänien,
Bulgarien und der Slowakei. Potentiell besteht diese Gefahr auch in Polen
und deswegen muß man auch damit rechnen und sensibel bleiben.
Ergänzen möchte ich auch, was Andrzej Mirga zur sozialen Situation
der Roma gesagt hat. Die Roma sind von der Arbeitslosigkeit stark betroffen,
weil sie meistens unqualifizierte Arbeitskräf-te darstellen, das
stimmt. Es gibt aber Regionen im südlichen Teil Polens, wo diese
Arbeitslosigkeit die Roma in einem noch viel höheren Maße getroffen
hat. In den den Karpaten naheliegenden Gebieten leben etwa 5.000 - 6.000
Roma (Karpatenzigeuner), die sich sprachlich und kulturell von den Roma
mit Wandertraditionen unterscheiden. Bis heute leben sie in sehr armen
Siedlungen. Wenn ein Bauer die Arbeit in einem Betrieb verloren hat, dann
kann er sich immer noch von seiner Landwirtschaft ernähren. Ein Zigeuner,
der hier die Arbeit verloren hat, kann auf nichts zurückgreifen.
Deswegen kann man in dieser Region seit einigen Jahren die Rückkehr
zur früher traditionellen Beschäftigung, zum Betteln, beobachten.
Hierher wurde ich als Direktor des Regionalmuseums in Tarnów eingeladen.
In diesem Museum befindet sich die erste und die einzige ständige
Ausstellung von Kultur und Geschichte der Roma in der Welt. Diese Sammlung
entstand vor 15 Jahren und kann seit vier Jahren als ständige Ausstellung
von den Besuchern besichtigt werden. Nach Gorzów haben wir eine
kleine Ausstellung der Zeichnungen und Photographien mitgebracht, die
die Kultur und die Geschichte der Roma darstellen. Viele Völker und
ethnische Gruppen in Polen ergreifen die Initiative und gründen eigene
Kulturzentren in Polen. Verstärktes Engagement gibt es jetzt auch
in den Kreisen der Zigeuner. Andrzej Mirga, Vorsitzender der Gesellschaft
der Roma in Polen, hat mit dem Aufbau eines solchen Geschichts- und Kulturzentrums
begonnen, das sicherlich eine große Bedeutung erlangen wird.
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Piotr Madajczyk,
Ministerium für Kunst und Kultur, Büro für Angelegenheiten
der nationalen Minderheiten (Warschau)
Ich grüße Sie im Namen des Ministeriums für Kultur und
Kunst. Ich repräsentiere hier das Büro für Angelegenheiten
der nationalen Minderheiten. Zu unseren Aufgaben gehört die Unterstützung
der Kulturen der Minderheiten sowie technische und finanzielle Hilfeleistung
bei der Organisation von kulturellen Veranstaltungen. Unsere zweite wichtige
Aufgabe umfaßt Aktivitäten zur Verbreitung von Toleranz, die
allerdings aufgrund der geringen Haushaltsmittel ziemlich eingeschränkt
wurden. Dennoch versuchen wir möglichst viel in dieser Richtung zu
unternehmen. Dabei geht es darum, daß nicht nur die Roma, sondern
auch andere Minderheiten sich daran beteiligen können. Es wurde schon
darüber gesprochen, was für eine kleine Gruppe im Verhältnis
zur Gesamtzahl der polnischen Bevölkerung die Roma darstellen. Deswegen
ist es sehr wichtig, daß die nationalen Minderheiten im Bewußtsein
der Gesellschaft existieren. Das erfordert natürlich viel Arbeit.
Wir wollen, daß mit dieser Arbeit bereits in den Schulen begonnen
wird, wo die Jugend mit der Situation der Roma und der anderen Minderheiten
bekanntgemacht werden soll. Wir möchten, daß Kulturveranstaltungen
organisiert werden, die der polnischen Gesellschaft bewußtmachen,
daß es solche Minderheiten, diese Kultur und diese Menschen gibt,
und daß es sich lohnt, sich für sie zu interessieren. Ich glaube,
daß es sich hier um gemeinsame Aktivitäten handeln muß,
und daß wir einige Sachen nur zusammen durchführen können.
Heute war die Rede von den Problemen der Arbeitslosigkeit, der Gesundheitsversorgung
und der Wohnungssituation. Das sind Probleme, die nur schwer zu lösen
sind und die wir nicht allein, nicht ohne die Hilfe der Organisationen
und Kreise der Zigeuner lösen können. Andererseits sind bestimmte
Finanzmittel und auch ein gewisser Apparat notwendig. Auch deswegen müssen
wir zusammenarbeiten. Was die rechtliche Situation der Minderheiten anbetrifft,
ist es sehr wichtig, daß die Möglichkeit für eine Veränderung
im Schulwesen geschaffen wird. Es gibt entsprechende Abkommen und Verordnungen,
die die rechtliche Grundlage bilden für die Einführung der Sprache
der jeweiligen Minderheiten in das Schulwesen; allerdings ist das im Falle
der Roma besonders kompliziert. Wir müssen sozusagen "zweigleisig"
vorgehen. Zunächst müssen wir festhalten an der Einrichtung
von speziellen Klassen für die Romakinder. Andererseits möchten
wir nicht, daß der dort erworbene Wissensstand es verunmöglicht,
weiterzulernen. Darum müssen wir uns sofort kümmern. Gleichzeitig
möchten wir gemeinsam mit dem Ministerium für nationale Bildung
- eigentlich ist das eine gemeinsame Aufgabe des Ministeriums für
nationale Bildung und der Organisationen der Roma - Lernprogramme erarbeiten
und die Lehrer auf die Arbeit mit den Romakindern vorbereiten.
Leider kann die Gemeinschaft der Roma aufgrund ihrer Zahl und ihrer Verstreutheit
über das Land zwei, für andere Minderheiten wichtige rechtliche
Möglichkeiten nicht nutzen: die Selbstverwaltungs- und Parlamentswahlen.
Eine wesentliche Frage ist aber auch die Handlungsfreiheit der Vereine
und Organisationen und ihrer kulturellen Aktivitäten. Unsere Aufgabe
besteht darin, zu helfen und nicht darin, sich in inhaltliche Fragen einzumischen.
Zwei wichtige Sachen müssen noch geregelt werden: eine entsprechende
Festlegung in der Verfassung und die Verabschiedung eines Minderheitengesetzes.
Das Gesetz kann nur im Parlament verabschiedet werden, und es muß
auch mit den Kreisen der Roma und der anderen Minderheiten abgestimmt
werden. Ein solches Gesetz soll ein breiteres Konzept für die Koexistenz
verschiedener Minderheiten in Polen beinhalten. Es kann sicherlich nicht
auf der Grundlage der Emotionen des Jahres 1989 entstehen. Ein solches
Gesetz muß die Rechte der Minderheiten in Polen garantieren. Die
mit dem Gesetz zusammenhängenden Fragen müssen wir dem Parlament
und den Minderheiten überlassen.
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Reimar Gilsenbach,
Schriftsteller (Brodowin in Brandenburg)
Liebe Kolleginnen und Kollegen. Diese Anrede gebrauche ich ganz bewußt,
weil ich mich an die anwesenden Journalistinnen und Journalisten wende.
Ich selbst habe lange als Journalist gearbeitet, schreibe jetzt noch für
Zeitungen, manchmal auch über Sinti und Roma, befasse mich aber seit
drei Jahrzehnten mehr mit Büchern. Wir Journalisten haben eine Schuld
abzutragen. Wenn Sie alte Jahrgänge von Zeitungen aufschlagen, oder
auch neue, dann finden Sie Schlimmes über Zigeuner. Die Journalisten
waren in erheblichem Maße daran beteiligt, daß sich Vorurteile
und Diskriminierung immer mehr verfestigten und um sich griffen. Da haben
wir vieles wiedergutzumachen. Es gibt so etwas wie ein Berufsethos der
Journalisten: sich der Diskriminierten, der Verfolgten, der Unterdrückten,
der Benachteiligten anzunehmen.
Es ist hier mehrfach gesagt worden, es gebe in Polen nicht allzuviele
Zigeuner - aber doch immerhin 30.000. Rajko Djuric hat zitiert, die Lebensbedingungen
und die Anzahl der Zigeuner in einem Land seien ein Maß für
die Freiheit dieses Landes. Wenn das so ist, dann kann ich nur sagen:
Ihr hier in Polen wart in einer glücklichen Situation. Denn in der
DDR gab es in den letzten drei Jahrzehnten nie mehr als 300 Zigeuner,
ausschließlich Sinti. 30.000 zu 300, das ist wie 100 zu 1: Ist dies
ein Maß der Freiheit, dann war die DDR eines der geknechtetsten
Länder der Welt. Wir hatten so eine Art preußischen Sozialismus.
Nach Auschwitz, wo die meisten geblieben sind, nach dem Krieg mögen
vielleicht 600 Sinti in der DDR gelebt haben. Übrigens immer nur
Sinti, Roma so gut wie gar nicht. Von denen sind viele in den Westen gegangen.
Die Zahl blieb annähernd gleich groß. Es wurden Kinder geboren
und es gingen welche weg, so daß wir in der DDR immer so um die
300 Sinti hatten - mehr nicht.
Ich selbst kam zu diesem Thema durch eine journalistische Arbeit. Eine
Sintiza hatte an unsere größte Wochenzeitschrift, die Wochenpost,
einen tieftraurigen Brief geschrieben: über die Situation der Sinti,
die Verfolgung in der Hitlerzeit und daß niemand darüber redet.
Ich versuchte, mit ihnen in Verbindung zu kommen. Eines der ersten Probleme,
das ich erkannte, war, daß viele Sinti nicht als Verfolgte des Naziregimes
anerkannt worden waren, unter ihnen Auschwitz-Häftlinge, die die
Nummer auf dem Arm tätowiert hatten. Darüber sprach ich in einem
öffentlichen Vortrag und wurde daraufhin regelrecht angezeigt. Das
Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer warf mir vor, das
sei eine Diffamierung der DDR, in Wirklichkeit seien die Zigeuner alle
anerkannt. Daraufhin antwortete ich: Gut, ich bringe Euch die Beispiele
und Ihr erkennt sie dann an. Dabei habe ich immer mit ziemlich hohen
Instanzen verhandelt; ich war freischaffender Schriftsteller, mußte
also keinen Dienstweg einhalten. Es gab in der DDR eine Richtlinie für
die Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes. In dieser Richtlinie wurden
auch Zigeuner aufgeführt, wenn sie aus rassischen Gründen
im KZ gewesen waren oder Verfolgungen erlitten hatten. Der Gesetzgeber
setzte also nicht als selbstverständlich voraus, daß alle Zigeuner,
die im KZ waren, aus rassischen Gründen dorthin gekommen waren. Ein
Jude dagegen, der im KZ gewesen war, mußte nicht nachweisen, daß
er dort aus rassischen Gründen war. In dieser Richtlinie, mit deren
Hilfe eben rassisch Verfolgten geholfen werden sollte, gab es eine Einschränkung,
die sich nur auf Zigeuner bezog. Also Rassismus in einer Richtlinie, die
sich der rassisch Verfolgten annimmt. Es hieß dort nämlich:
Zigeuner können als Verfolgte des Naziregimes anerkannt werden,
wenn sie nach 1945 beim zuständigen Arbeitsamt registriert sind und
eine antifaschistisch-demokratische Haltung bewahrt haben. Es gab
Komitees, vor denen die Zigeuner dann befragt wurden, und man konnte ihnen
leicht nachweisen, daß sie keine antifaschistisch-demokratische
Haltung hatten. Billige Fangfragen genügten: Nun, Kamerad, was
weißt Du über den Genossen Stalin? Und die Antworten waren
verwirrt. Das genügte, um Zigeuner nicht anzuerkennen. Es war absurd.
Für viele habe ich nachträglich ihre Anerkennung noch durchgefochten.
Das war sehr schwierig und kostete viele Kämpfe. Es gab unglaubliche
Gegenargumente. Z.B. sagte mir ein sehr hoher Funktionär: Ja,
aber die Zigeuner in der DDR werden von einer Königin regiert, die
ihre Instruktionen aus dem Westen erhält. Dagegen machen sie
mal etwas: Zigeuner in einem sozialistischen Staat erhalten Instruktionen
aus dem Westen - furchtbar. Ich habe mich immer gleich an die Mitglieder
des Politbüros gewandt, auch eine Eingabe an Honecker geschrieben.
Aber es ist mir nie gelungen, auch nur ein einziges Politbüromitglied
zu bewegen, bei einem Gedenktag oder einer Ehrung von Verfolgten des Naziregimes
die Zigeuner auch nur mit einem Wort zu erwähnen, nur einmal zu sagen,
daß auch sie verfolgt wurden, nur einmal zu sagen, daß auch
sie in Auschwitz ermordet wurden. Kein einziger höherer Staatsmann,
kein einziger Parteifunktionär hat das jemals getan.
Hannelore, meine Frau, und ich sind manchmal mit Sinti zusammen aufgetreten.
Sie war eine Jazzsängerin und wir haben ein Lied gemacht: Oh,
Django, sing Deinen Zorn. Dieses Lied möchte ich Ihnen gern vorlesen:
Oh, Django, sing Deinen Zorn.
Oh, Django, sieh das sanfte Antlitz der Erde,
von Grenzen entstellt, zernarbtes Soldatengesicht.
Gitarre, Gitarre, Gefährtin des Sintu, träum:
Die grenzenlosen Straßen der Fahrenden,
grüne Wagenplätze nahe dem Wald
und die Gespräche der Alten am Feuer.
Gitarre, Gitarre, Gefährtin des Sintu, warn;
Versperrt Deine Straßen,
ersterbend die Wälder,
verstummt die Gespräche,
erloschen die Feuer des Freiseins,
Oh, Django sing. Sing Deinen Zorn!
Oh Django, hör das Hundekläffen von Auschwitz,
Kommandos, Schläge, Gebrüll auf dem Weg in das Gas.
Gitarre, Gitarre, Gefährtin des Sintu, schrei:
Zigeuner - im Aufstand der Sterbenden
widerstehend! Ach, schlimm war die Nacht,
eh sie vergingen im Rauch, deine Brüder.
Gitarre, Gitarre, Gefährtin des Sintu, klag:
Noch jenseits von Auschwitz
verhöhnt euch der Gadscho:
Der Opfer gedenkend,
verschweigt er die toten Zigeuner.
Oh, Django, sing. Sing Deinen Zorn!
Oh, Django, sag: Vergißt Dein Volk seine Sprache,
sein Recht, wie es die Herkunft vergaß?
Gitarre, Gitarre, Gefährtin des Sintu, spiel:
Flamenco - Gitanosang Spaniens,
Csárdás und Kolo, Tänze der Rom,
und auch den Swing Django Reinhards, den Jazz.
Gitarre, Gitarre, Gefährtin des Sintu, ruf:
Ermannt euch, Ihr Sinti!
Bleibt stolz auf euch, Kale!
Verbrüdert euch, Manusch!
Seid schwarz und seid frei! Upre Roma!
Erst heute habe ich erfahren, daß diese Auftritte mir Einträge
in meiner Stasi-Akte einbrachten. Das ist eine groteske Geschichte, die
ich hier nicht ausbreiten kann. Unter anderem steht in diesen Notizen,
ich sei mit Leuten aufgetreten, die als Zigeuner verkleidet gewesen seien,
obwohl das tatsächlich waschechte Berliner Sinti waren. Lange habe
ich über sie nichts geschrieben. Einer meiner ersten Artikel trägt
den Titel: Wie Lolitschei zur Doktorwürde kam. Da ging es
um Rassenhygiene, in deren Zeichen die Verfolgung der Sinti von den Nazis
betrieben wurde. Es war nicht möglich, diesen Artikel in der DDR
zu veröffentlichen. Er erschien zuerst in einer Krakauer Literaturzeitschrift,
in polnischer Sprache. Dann habe ich ihn in der Bundesrepublik veröffentlicht,
was natürlich wiederum eine Notiz in meiner Stasi-Akte nach sich
zog. Erst jetzt nach der Wende habe ich die Artikel, die ich in Italien,
in den Niederlanden und wo sonst noch überall geschrieben habe, zusammenfassen
und in dem Buch "Oh Django, sing Deinen Zorn!" veröffentlichen
können. Es geht dabei um Sinti und Roma unter den Deutschen.
Die DDR-Bevölkerung war weitgehend abgeschottet. Wir hatten die
Mauer, wenig Kontakte nach außen und wenig Zigeuner im Land. Nach
der Wende und den offenen Grenzen kamen plötzlich viele Sinti aus
Westdeutschland, die mit allen möglichen Sachen handelten. Es kamen
aber auch Roma aus dem Osten als Asylbewerber. Unter Sinti und Roma gibt
es viele ethnische und soziale Gruppen. Die DDR-Bevölkerung war den
Kontakt mit Fremden überhaupt nicht gewohnt, sie warf alle "Zigeuner"
in einen Topf. Es kam zu diesen schrecklichen Ausbrüchen, vor allem
in Rostock. Die Bilder gingen um die Welt, wie dort das Gebäude,
in dem die Asylbewerber sich anmelden mußten, und in dem außerdem
auch noch Vietnamesen wohnten, in Brand gesteckt wurde und tagelange Kämpfe
mit der Polizei stattfanden. Dieser Rassismus richtete sich in erster
Linie gegen die Zigeuner.
Ich möchte Sie hier in Polen an etwas erinnern. Als hier Solidarnosc
entstand und Lech Walesa zu einem Begriff wurde, da schürten gewisse
Parteifunktionäre in der DDR unter der Hand so eine Art neuen Nationalismus
gegen die Polen. Plötzlich durfte jedermann wieder sagen, die Polacken
seien faul, sie würden betrügen, man solle sich von ihnen nicht
übers Ohr hauen lassen, die Polen verrieten den Sozialismus usw.
Das ging sehr schnell. Neuer Nationalismus laßt sich über Nacht
erzeugen, und deshalb sollten wir immer und überall den Anfängen
wehren. Wer Nationalismus und Rassismus gegenüber Zigeunern zuläßt,
darf sich nicht wundern, wenn er eines Tages selbst Opfer eines neuen
Nationalismus wird.
Jetzt gibt es unter den Roma und Sinti eine Bürgerrechtsbewegung,
die größer und vielfältiger wird, neue Formen annimmt.
Das ist eine ungemein wichtige Entwicklung. Ich sage immer: Zwar kann
ich wohlwollend über Euch sprechen, aber ich kann nicht in Eurem
Namen sprechen. Das könnt nur Ihr selbst tun. Ihr selbst müßt
Eure politischen Interessen vertreten. Ihr selbst müßt Eure
kulturellen Ziele äußern. Ihr selbst müßt sagen,
wie Ihr Euch Eure Lebensweise vorstellt. Ihr müßt Euch einbringen
in das politische Geschehen und in die demokratischen Strukturen, die
sich entwickeln. Natürlich sind die Zigeuner auch in dieser Hinsicht
nicht homogen. Es gibt unterschiedliche Gruppierungen mit unterschiedlichen
Zielen. Es gibt aber immerhin die übergreifende Romani-Weltunion,
die versucht, alle Gruppen in sich zu vereinen. Genausowenig, wie die
Polen oder die Deutschen politisch einheitlich sind, genausowenig kann
man von den Roma erwarten, daß sie mit einer Stimme sprechen. Auch
wenn sie mit vielen Stimmen sprechen, so haben sie trotzdem ein gemeinsames
Interesse daran, daß die Roma nicht mehr diskriminiert werden, daß
die anderen, die Gadsche, zu ihnen ein neues Verhältnis entwickeln.
Dazu können wir Journalisten viel beitragen.
Ich gehöre jetzt einer Historikergruppe an der Sorbonne an, die
sich mit der Geschichte der Roma befaßt. Das sind alles Gadsche-Historiker,
kein Rom ist dabei. Obwohl ich das bedauere, halte ich es für wichtig,
daß auch Gadsche-Historiker sich mit diesen Fragen beschäftigen.
Manche Roma wollen das nicht. Sie sagen: Wir können das nur selber
tun. Ihr habt soviel Unsinn über uns geschrieben, ihr habt uns diskriminiert.
Das stimmt, die Tsiganologen aller Zeiten haben das getan. Ich meine aber,
daß auch die Gadsche-Historiker, die Gadsche-Journalisten, die Gadsche-Schriftsteller
den Roma gegenüber eine Pflicht zu erfüllen haben. Ich arbeite
jetzt an einer vierbändigen Weltchronik der Zigeuner, von der der
erste Band erschienen ist. Eine ungemein schwierige Aufgabe. Auch als
Journalist hat man es nicht immer leicht, solche Themen überhaupt
in die Zeitung zu bringen. Ich möchte Sie trotzdem bitten, es zu
versuchen.
Es gibt jetzt einen PEN Club der Roma, der von Rajko Djuric geleitet
wird. Der Club steckt noch sehr in den Kinderschuhen. Die wenigen Schriftsteller
unter den Roma sind verstreut, kaum einer kann vom Schreiben leben. Sie
haben es schwer und sie haben keine Lobby. Es müßte ermöglicht
werden, daß sie sich ab und zu irgendwo treffen können. Es
müßte eine kleine Zeitschrift für sie geben. Die Roma-Literatur
hat sehr viel in die allgemeine Literatur einzubringen. Vielleicht zeichnet
sich da so etwas wie eine neue Weltsicht ab. Die Haltung der Gadsche zu
den Roma ist ambivalent. Sie verehren die Roma und zugleich fürchten
sie sie. Wenn die Roma ihre Sicht - einige dieser Schriftsteller bedienen
sich der modernsten Literaturgattungen, die es gibt - einbringen, so könnte
das ein großer Gewinn sein für die Kultur Europas. Ich hoffe,
daß das gelingt.
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